
VR-Brillen für Milchkühe
Metaverse für Kühe
Der türkische Landwirt İzzet Koçak ist seit über einer Woche weltweit in den Medien zu finden. Wie schon 2019 in Russland geschehen, versucht Herr Koçak es bei seinen Milchkühen mit VR-Therapie. Laut der Süddeutschen Zeitung ist er auch wegen des russischen Experiments darauf gekommen – er habe auf Facebook davon erfahren. Allerdings nutzt İzzet Koçak nicht die in Russland angepriesenen Spezialbrillen, es sind günstige Cardboard-VR-Brillen. Diese sind hierzulande für ungefähr 10 bis 20 Euro erhältlich und nur mit zusätzlichem Smartphone nutzbar. Was nach dem Metaverse für Kühe klingt, ist zur Steigerung der Milchproduktion gedacht.
Für den Kopf einer Kuh sind diese VR-Brillen natürlich zu klein, daher werden von Herrn Koçak zwei verwendet, er verweist auch darauf, dass es keinerlei spezifische Kuh-VR-Brille gibt. Der türkische Landwirt bespielt eigenen Angaben zufolge nur eines der Augen seiner Kühe, das andere sei nur abgedeckt. Hier ist es wichtig, zu verstehen wie eine VR-Brille funktioniert und dabei immer im Hinterkopf zu behalten, dass diese Geräte dem Sehapparat des Menschen angepasst wurden. Vor der jeweiligen Anwendung muss die VR-Brille jedoch zusätzlich auf den einzelnen Menschen geeicht werden, Augenabstände zwischen 62mm bis 65mm entsprechen hierbei der Norm, wobei es Spielraum bis 52mm bzw. 78mm gibt. Bei einem in höherem Maße abweichendem Augenabstand ist die VR-Brille auch für Menschen nicht mehr nutzbar. Die Cardboard-VR-Brillen von Herrn Koçak haben weniger Konfigurationsmöglichkeiten und sind somit weniger geeignet, um Kühen ein schönes Weideleben vorzugaukeln.

Funktionsweise einer VR-Brille
Die oben bereits erwähnte Lösung, nur ein Kuhauge mit dem Weidetraum zu bespielen, fällt weg. Bei der Ausgabe werden zwei Bilder an ein Auge gesendet, aus denen im Norm-Fall das Gehirn ein dreidimensionales Bild bzw. Erlebnis macht. Hier wird daraus jedoch ein Flackern, da die Kuh zwei Bilder mit einem Auge zeitgleich wahrnimmt. Was auch immer die Kühe mit zwei Brillen auf einem Auge gesehen oder erlebt haben, hat jedenfalls nichts damit zu tun, wie wir als Menschen uns das Erlebte vorstellen. Kühe können bis zu 60 Einzelbilder pro Sekunde unterscheiden, der Mensch nimmt Bilder ab 50 pro Sekunde als fließende Bewegung (Verschmelzungsgrenze) wahr, so Benito Weise vom Landwirtschaftlichen Bildungszentrum Echem.
Die standardmäßige Framerate eines Smartphones liegt bei 60fps und somit gerade noch an der Verschmelzungsgrenze einer Kuh. B. Weise vermutet daher, dass Kühe dieses Licht (bei Verwendung der VR-Brille, Anm. d. Redaktion) zumindest als unangenehm, vielleicht als stressinduzierend empfinden. Die nachfolgende Reaktion hinge von den jeweiligen Umständen ab, sollte die Möglichkeit zur Flucht gegeben sein, würde die Kuh als Fluchttier sie vermutlich ergreifen.
Einfluss von Serotonin
Gibt eine glückliche Kuh auch mehr Milch, kann also durch Steigerung der Serotoninwerte die Milchproduktion ebenfalls gesteigert werden? Benito Weise bestätigt, dass die Hormone durchaus einen Einfluss darauf und auf die mineralische Zusammensetzung der Milch haben können. Wichtig zu beachten ist hierbei ausreichend Tageslicht, was auch durch gesonderte Lichtprogramme unterstützt werden kann. Die Auswirkungen unterscheiden sich jedoch bei den verschiedenen Rinderrassen.

In den Augen einer Kuh
Die Sichtfelder von Menschen und Kühen unterscheiden sich stark. Wir haben ein sehr viel größeres binokulares Sichtfeld von 140°, während eine Kuh nur im Bereich von 30-50° mit einer Überschneidung beider Augen sieht und überblickt ihre Seiten mit insgesamt 330° und vertikal 60°. Das räumliche Sehvermögen von Kühen ist eingeschränkt, die höchste Sehschärfe und beste Stereoskopie (räuml. Sehen) liegt innerhalb des kleinen binokularen Bereichs, die zwischen 50 und 150 Metern können vertikale Bewegungen am besten differenziert werden. Benito Weise verweist auf Temple Grandin und die Annahme, dass Rinder bei hohen Laufgeschwindigkeiten das räumliche Sehvermögen verlieren.
Als Schlussfolgerung aus technischer sowie biologischer Sicht liegen für die Anwendung von VR-Brillen bei Kühen wie in İzzet Koçaks Fall keine repräsentativen, glaubwürdigen oder wissenschaftlichen validen Ergebnisse und Studien vor.
Die virtuelle Welt bleibt der Kuh also vorerst verwehrt.